Eigentlich wollte der Staat die Einnahmen aus dem CO₂-Preis nicht behalten, sondern als „Klimageld“ an die Bürger zurückzahlen. Davon ist vorerst keine Rede mehr.
Eines steht schon fest: In fünfeinhalb Monaten wird das Leben wieder teurer. Es fragt sich nur, um wie viel. Zum 1. Januar 2024, so steht es in der jüngst beschlossenen Kabinettsvorlage zum Bundeshaushalt, werde es eine „Änderung der Zertifikatepreise“ für klimaschädliche Emissionen geben. Details sind noch Verhandlungssache, im Gespräch ist ein Sprung von 30 auf 45 Euro je Tonne Kohlendioxid.
Für sich genommen ist das alles andere als ein Skandal. Schließlich würde die Regierung damit nur zu den Plänen zurückkehren, die sie im vorigen Jahr wegen der inzwischen abgewendeten Energiekrise ausgesetzt hatte. Und unter Ökonomen und Klimaschützern gibt es viele, die in steigenden Preisen das wirksamste Element für den Klimaschutz sehen, wirksamer jedenfalls als komplizierte Fristenlösungen für Pelletheizungen oder Biomethan.
Der doppelte Vorteil der Kopfpauschale
Allerdings hatte die Koalition den Bürgern eigentlich in Aussicht gestellt, dass sich die öffentliche Hand an den Einnahmen aus den CO2-Preisen nicht bereichern will. Das war jedenfalls von Anfang an die Idee für die Steuer auf Klimagase gewesen, die später in einen Zertifikatehandel übergehen soll: Das Geld, das der Staat damit einnimmt, gibt er wieder zurück, allerdings in Form einer Kopfpauschale.
Das hat gleich einen doppelten Vorteil. Zum einen erhöht es den Anreiz zum Energiesparen, denn den einheitlichen Betrag bekommt jeder. Für diejenigen, die klimafreundlich leben und wenig CO2-Aufschläge bezahlen, steht unterm Strich ein Plus. Zum anderen sorgt es für einen sozialen Ausgleich, weil ärmere Haushalte im Schnitt weniger Energie verbrauchen als reichere, also mehr Klimageld zurückbekommen, als sie für ihre Emissionen bezahlen. „Das ist nicht nur ein Gebot sozialer Gerechtigkeit, sondern wäre auch ein echter Anreiz, individuell den CO2-Fußabdruck zu verkleinern.“ So formulierte es im Vorjahr auch Finanzminister Christian Lindner.
Aber so wird es fürs Erste nicht kommen. Lindner selbst erklärt all diejenigen für Naivlinge, die eine Überweisung an alle Haushalte im digital defizitären deutschen Staat für kurzfristig machbar halten. Und Wirtschaftsminister Robert Habeck braucht das Geld dringend für andere Dinge, auch weil ihm Lindner aus dem regulären Etat ja nichts gibt. Denn die CO2-Abgaben fließen in den Klima- und Transformationsfonds, einen jener drei großen Schattenhaushalte, mit denen die Ampelregierung die drei Großkrisen rund um Klima, Ukraine, Energie meistern will.
Das Geld geht jetzt auch in die Digitalisierung
Die 60 Milliarden Euro an Kreditermächtigungen, die der Bundestag dem Fonds gleich zum Regierungsstart erteilte, reichen für die Vorhaben längst nicht mehr aus. Immer mehr Projekte kommen hinzu, allen voran die üppigen Fördersummen, die Deutschlands Haus- und Wohnungseigentümer mit den ohnehin schon abgemilderten Austauschpflichten des künftigen Heizungsgesetzes versöhnen sollen. Das ist immerhin noch ein Klimaschutzziel.
Mit dem Geld finanziert die Regierung jetzt aber auch Digitalisierungsprojekte, die mit dem Kampf gegen die Erderwärmung gar nichts zu tun haben, die Milliardensubvention für eine geplante Magdeburger Chipfabrik etwa. Das ist zwar nicht Klimapolitik, aber irgendwie „Transformation“: ein Gummibegriff, mit dem sich Ausgaben gleich welcher Art rechtfertigen lassen.
Und so entsteht der Eindruck, dass es die Beteiligten mit der Sache nicht allzu eilig haben. Habeck ohnehin nicht, aber auch nicht der zuständige Finanzminister, der die Schuldenbremse einhalten will, ohne den Koalitionsfrieden vollends zu zerstören. „Das ist aber ein sehr voraussetzungsvolles Vorhaben“, erklärte Lindner vor knapp einem Jahr auf einer sommerlichen Kabinettsklausur im brandenburgischen Barockschloss Meseberg.
Der Staat darf jetzt Kontodaten speichern
Immerhin: Mit dem Jahressteuergesetz beschloss der Bundestag im vorigen Dezember, dass das zuständige Bundeszentralamt mit der Steueridentifikationsnummer auch die Kontodaten speichern kann. Verboten ist es jetzt also nicht mehr, dass der Staat auf direktem Wege künftig Geld an seine Bürger überweist.
„Aber dann beginnt die technische Umsetzung“, warnte Lindner schon im Vorfeld. „Das zu integrieren, diese ganzen Daten zusammenzubauen, dauert nach den Angaben der Expertinnen und Experten in meinem Haus mal eben 18 Monate.“ Das wäre dann irgendwann im Jahr 2024.
Damit ist es den Aussagen des Ministers zufolge aber nicht getan. „Nach den mir vorliegenden Zahlen wäre die öffentliche Verwaltung mit ihrer IT gegenwärtig nur dazu in der Lage, 100.000 Überweisungen pro Tag vorzunehmen“, fügte er noch hinzu. „Überlegen Sie, wie viele Deutsche wir sind! Wie lange braucht es, bis 100.000 Überweisungen pro Tag an Millionen von Menschen getätigt sein werden?“ Auch wenn er damit nur das Anlegen neuer Empfänger meinte und nicht jede einzelne monatliche Überweisung, hieße das: Zwei Jahre und vier Monate würde die Prozedur für 84 Millionen Bundesbürger schon dauern.
Bis zur nächsten Wahl wird das nichts mehr
In Regierungskreisen ist unterdessen die Einschätzung verbreitet, während der laufenden Wahlperiode werde das nichts mehr. „Ein Zieltermin lässt sich derzeit noch nicht valide abschätzen“, teilt das Finanzministerium mit. „Zudem müssen die genauen materiellen Tatbestandsvoraussetzungen für die Auszahlung noch festgelegt werden. Über mögliche hieran anknüpfende Auszahlungsfälle und deren Finanzierungsgrundlage ist zu gegebener Zeit in einem zweiten Schritt zu bestimmen.“ Nach allzu großer Eile klingt das alles nicht.
Die Sache ist in der Tat nicht trivial. Schon die Auszahlung eines einheitlichen Energiepreisausgleichs für alle Bevölkerungsgruppen scheiterte voriges Jahr an derlei praktischen Problemen. Stattdessen bekamen Angestellte das Geld über den Arbeitgeber, Rentner über die einschlägige Sozialkasse, Studenten nur auf Antrag. Und die Familienministerin ringt bei ihrem Kampf um die antragslose Auszahlung von Kinderhilfen mit ähnlichen Problemen, ohne in ihrem Ressort über die einschlägige Expertise des Steuerministers Lindner oder des Sozialabgabenministers Hubertus Heil zu verfügen.
Dabei ist die Sache durchaus noch komplizierter, sollen die Zuschüsse für den Nachwuchs doch vom Einkommen abhängen. Insofern sind die Fortschritte beim vergleichsweise einfach gestrickten Klimageld auch ein Indikator für die Handlungsfähigkeit der Koalition überhaupt – und für die Haltbarkeit ihrer Digitalisierungsversprechen. Vermag der Staat noch nicht mal einen einheitlichen Betrag an alle seine Bürger auszuzahlen, stehen die Zeichen für die Kindergrundsicherung ebenso schlecht wie für alle anderen Digitalisierungsprojekte der Regierung.
Die Regierung hat es nicht eilig
Aber es drängt sich in diesen Tagen auch nicht gerade der Eindruck auf, als habe es die Regierung besonders eilig, das Geld aus dem CO2-Preis gleich wieder zurückzugeben. Es würde sie jener finanziellen Spielräume berauben, dank derer sich die Koalition trotz allen Streits gerade noch zusammenraufen kann.
Deshalb verweist man nun in Regierungskreisen auf ein Hilfsinstrument, das für eine Übergangszeit bis zur Einführung des Klimagelds schon im Koalitionsvertrag vorgesehen war: Als die Energiepreise im vorigen Jahr sehr hoch waren, verschob sie nicht nur die nächste Preissteigerung für CO2-Emissionen, sie schaffte auch die EEG-Umlage ab. Dadurch sank der Strompreis, die Mehrwertsteuer mitgerechnet, um 4,4 Cent je Kilowattstunde. Für die erwähnte größere Familie mit einem jährlichen Stromverbrauch von 3.500 Kilowattstunden brachte das eine rechnerische Ersparnis von 154 Euro im Jahr.
Das mag zwar schön für die Haushalte sein, aber von den beiden Zielen des Klimagelds erreicht der vergünstigte Strompreis keines. Er schafft keinen sozialen Ausgleich: Wohlhabendere Haushalte, die viel Strom verbrauchen, profitieren stärker. Und er reizt nicht zum Energiesparen an, im Gegenteil: Strom wird ja gerade günstiger. Ein Vorteil wird daraus allenfalls im Vergleich zu Öl oder Gas, wenn Verbraucher auf die potentiell erneuerbare Elektrizität umsteigen, zum Beispiel durch den Einbau einer Wärmepumpe. Allerdings dürfte der vergleichsweise geringe Betrag, der anders als beim CO2-Preis über die Jahre nicht steigt, in dieser Hinsicht nur geringfügig motivieren.
Eine ungewöhnliche Allianz von Kritikern
Entsprechend groß ist der Ärger bei einer sehr ungewöhnlichen Koalition aus Umweltschützern und Gewerkschaftern, Ökonomen und Sozialverbänden. So ließ die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi jüngst wissen, der CO2-Preisanstieg ohne Klimageldausgleich könne „der nächste Schauplatz verstörender Debatten“ werden, zumal die versprochene Ausgleichszahlung nicht „in irgendeiner Weise bereits in Sicht oder gar in der Ressortabstimmung wäre“.
Auch die Wirtschaftsweise Veronika Grimm hatte mehrfach die mangelnde Ambition beim Klimageld kritisiert. Und FDP-Vizefraktionschef Lukas Köhler, einer der stärksten Befürworter von CO2-Preisen als zentralem Steuerungsinstrument der Klimawende, ließ im Frühjahr noch wissen: „Wir müssen die Bepreisung so sozialverträglich wie möglich zurückgeben.“ Einen Zeitpunkt nannte er allerdings nicht.
Die mangelnde Eile der Politik könnte allerdings auch damit zu tun haben, dass das Klimageld in der Gesamtbevölkerung bei Weitem nicht so populär ist wie unter Experten der verschiedensten Ausrichtungen. Dazu gibt es inzwischen gleich mehrere internationale Studien. Das Klimageld werde „vielfach als ein nicht gut verständliches und eher ungerechtes Instrument angesehen“, hieß es etwa in einer deutschlandweiten Studie des Thinktanks Adelphi. Das sei „überraschend gewesen, da viele Expertinnen und Experten eher vom Gegenteil ausgingen“.
Eine internationale Studie des National Bureau for Economic Research aus den USA kam zu dem Schluss, dass es populärer sein kann, das Geld aus CO2-Preisen in Klimaschutzinvestitionen zu investieren, als es den Haushalten auf direktem Weg zurückzugeben. Womöglich liegt darin eine Erklärung, weshalb es noch nicht zu einem Aufschrei über die große Klimageldverschleppung kam.
Ein Tempolimit kann man nicht einführen, weil es dafür nicht genügend Schilder gibt…
Die Klimaziele im Bereich Verkehr können wir nicht einhalten, weil Verkehr ist schwer…
Den Bürgern kann man das bezahlte Geld nicht wie versprochen zurückgeben, weil die deutsche Bürokratie damit überfordert wäre…
An den Koalitionsvertrag können wir uns nicht halten, weil wegen isso…
Gut, dass sie inzwischen aufgehört haben, sich auch nur Mühe zu geben. Einfach ein paar Tabellen zum Auswürfeln der nächsten Bullshit-Begründung aufsetzen, zählt sicher als effizient und technologieoffen…