

Wenn die Redaktion konkrete Hinweise auf eine Straftat hat und Informationen zur Identifizierung des mutmaßlichen Täter hat, können sie diese der Polizei mitteilen. Sie können auch darüber Berichten, ohne die Person öffentlich zu machen. Dann wissen die Redaktion und die Polizei, wer dahinter steht, und wenn die Polizei unttätig bleibt, kann die Redaktion immer darüber berichten. Dabei ist “Polizei bleibt bei Nazi-Youtuber untätig” aus meiner Sicht auch mindestens genauso eine wichtige Story. Wenn ich mich richtig erinnere haben sie auch schon mal eine Sendung gehabt, wo es darum ging wie mit Anzeige von volksverhetzenden Kommentaren im Netz von diversen Landespolizeien umgegangen wurde.
Ich hasse Nazis auch wie die Pest, aber hier gibt es einige Probleme. Das Offensichtlichste ist: Was ist wenn sich die Redaktion doch geirrt hat und die falsche Person öffentlich anprangert? Was ist, wenn es noch eine kleine Anzahl weiterer Personen gibt, auf die die Beschreibung zutrifft, und dann das volle Doxxing jemanden Unbeteiligten trifft? Auch wenn es die richtige Person trifft. Wie wird damit umgegangen, wenn dann ein Vigilante über die Stränge schlägt? Haftet dann das ZDF für Anstiftung? Bekommt dann ein Nazi gebührenfinanziert Personenschutz gestellt? Was ist, wenn Unbeteiligte mit reingezogen werden, z.B. weil jemand Parolen an das Wohnhaus sprüht oder eine Scheibe einschlägt, sich dabei aber in der Adresse irrt?
Ich sehe da vor allem das Beispiel Drachenlord, wo problematischer Youtuber + Deanonymisierung (auch wenn sie in dem Fall selbst vorgenommen wurde) eine üble Dynamik entwickelt hat, bei der am Ende die ganze Nachbarschaft gelitten hat.
Dabei steht am Ende eben noch das Problem, dass Böhmermann das ganze in einem Unterhaltungsformat tut. Damit wird suggeriert, dass das als Unterhaltung grundsätzlich akzeptabel ist, egal wen es trifft. Damit unterscheidet es sich aus meiner Sicht z.B. noch mal deutlich davon, wenn die lokale Antifa einen Nazi bei Indymedia o.ä. doxxt.
Gegenargumente:
Auch aktuell lassen sich die meisten Leute im Notfall deanonymisieren, weil die technischen Voraussetzungen nicht geschaffen wurden. Es setzt erstmal ein relativ hohes Verständnis und Aufwand vorraus um auch vor Strafverfolgung anonym zu sein.
Im Fediverse scheitert das ganze spätestens, wenn sich eine Person mit ihrer anonymen ID auf mehreren Servern Accounts anlegt und sich damit amplifiziert. Sonst müsstest du ständig zwischen allen Servern alle anonymen Identitäten austauschen, was wiederum ein Alptraum für die Privatssphäre ist.
Wenn wir das für Kommentare, Blogeinträge & co. haben, dann dauert es keine 6 Monate, bis die CSU das für Pornoseiten und Killerspiele durchsetzt. Dann gehts weiter damit, wer z.B. nach der Möglichkeit zur Abtreibung, Harm Reduction bei Drogenkonsum oder Hilfsangebote für psychische Notsituationen sucht.
Wir haben ausnahmslos bei allen Überwachungsinstrumenten und Befugnissen in den letzten zwei Jahrzehnten erlebt, dass diese einerseits jenseits des gesetzlichen Rahmens missbraucht werden und andererseits, dass die Befugnisse ständig ausgeweitet werden.
Schließlich haben wir mit der Patientenakte gesehen, wie schlecht solche Vorhaben in Deutschland umgesetzt werden, was Datenschutz und IT-Sicherheit angeht. Es ist dann nur eine Frage der Zeit, bis Russland die Identitäten zahlreicher deutscher Staatsbürger hat und dann die Botfarmen mit Gütesiegel weiterbetreiben kann.