Interessant:
Problematisch ist darüber hinaus eine Haltung, die auch von vielen demokratischen Akteur_innen vertreten wird und mit der ein positives Image der Stadt im Vordergrund steht. Um dieses aufrecht zu erhalten, werden dann Menschen, die Verantwortung übernehmen und Betroffene schützen, zum Problem oder als dessen Ursache erklärt. Der Verlauf dieser Situation – Marginalisierung, Schuldzuweisung, Androhung von Disziplinarverfahren und Versetzung an andere Schulen – lässt sich als Prozess der Eskalation beschreiben, der einhergeht mit einer Nichtbenennung und Normalisierung von Rechtsextremismus. Er hätte meiner Erfahrung nach in dieser Form gegenwärtig nicht in einem westdeutschen Gemeinwesen stattfinden können. Es braucht hierzu eine kritische Aufarbeitung, die etwa in Burg bis heute sowohl an der Schule als auch im Gemeinwesen aussteht.
Das mag einen Beitrag geleistet haben, aber die wesentlichen Gründe, warum der Osten braun ist, sind wo ganz anders zu suchen. Allen voran darin, dass es für den Osten durch Dinge, die im Zuge der Wiedervereinigung passiert sind, einen Opfermythos gibt und zwar unabhängig vom Wahrheitsgehalt der dem Mythos zugrundeliegenden Thesen. Ein weiterer entscheidender Grund liegt in meinen Augen zweifelsfrei darin, dass der Osten so dünn besiedelt ist. Urbanität ist das Penicilin gegen Faschismus. Es ist nicht nur kein guter Nährboden, sondern strahlt auch an den Rändern heilsam aus und diese beiden Eigenschaften von Städten fehlen im Osten weitestgehend.
Ich wohne in der größten Stadt in MV (Rostock) und wollte mal schauen, ob sich das anhand der Zahlen der letzten Landtagswahlen wirklich abbilden lässt, weil ich das grundsätzlich skeptisch gesehen habe und nicht so ganz glauben wollte.
Also habe ich mal geschaut, wie viele Menschen in verschiedenen Wahlkreisen in Rostock die AfD gewählt haben. In der Hansestadt selbst haben wir vier Wahlkreise, mit diesen Ergebnissen (Erst- und Zweitstimme):
I: 15,8% / 14,1% II: 13,1% / 11,8% III: 8,1% / 7,4% IV: 11,3% / 10,8%
Das Umland rund um Rostock bildet sich ebenfalls in vier Wahlkreisen (Landkreis Rostock I-IV) ab. Das sind die Ergebnisse:
I: 16,6% / 15,4% II: 16,2% / 15,0% III: 22,3% / 19,7% IV: 19,4% / 17,6%
Die höchsten Wertungen hat die AfD in diesen Wahlkreisen eingefahren:
Vorpommern-Greifswald IV: 28% / 23,7% Mecklenburgische Seenplatte I - Vorpommern-Greifswald I: 27,4% / 24,0% Vorpommern-Greifswald V: 26,8% / 23,3% Vorpommern-Greifswald III: 25,5% / 23,7% Mecklenburgische Seenplatte V: 24,0% / 22,4% Vorpommern-Greifswald II: 23,6% / 21.3% Vorpommern-Rügen II - Stralsund III: 22,7% / 21,5%
Das sind alles recht dünn besiedelte Wahlkreise ohne größere Städte, oft sehr großräumige Gebiete rund um die Stadt Greifswald. Die Stadt Greifswald wiederum hat nicht so hohe Ergebnisse für die AfD eingefahren (“nur” 13,1% / 12,4%).
Man kann an diesen Ergebnissen tatsächlich sehen, dass mehr rechts gewählt wird je weiter man aus den Städten rauskommt, also scheint der Vorposter grundsätzlich Recht zu haben (und mein Empfinden, dass Rostock eine linke Hochburg in einem Sumpf aus Braun ist, ist auch nicht so ganz getrübt - auch wenn die Abgrenzung zum Umland nicht so groß ist, wie ich es mir gewünscht hätte).
Aber es gibt auch einige Ausreißer, die nicht in dieses Schema passen. Warum z.B. ist der Anteil an AfD-Wählern im Wahlkreis I der Stadt Rostock höher als alle anderen? Hier kann ich nur vermuten. Dieser Wahlkreis besteht aus Stadtteilen wie Lichtenhagen (was den meisten ein Begriff sein dürfte) - hier reiht sich eine Plattenbauwohnung an die nächste. Die Mieten sind im Vergleich zu anderen Stadtteilen sehr günstig und dementsprechend wohnt dort vor allem eine ärmere Bevölkerung. Für mich persönlich ist es daher nicht so überraschend, dass die Ergebnisse hier so hoch sind. Ich würde den Schluss ziehen, dass die Urbanisierung schon einen hohen Einfluss darauf hat, wieviel rechts gewählt wird, eine Verarmung / “Ghettoisierung” der Bevölkerung innerhalb eines Stadtteils (und damit verbunden vielleicht auch eine generelle Unzufriedenheit) die Wahlergebnisse aber auch stark beeinflussen kann.
Ich bin mit allen Punkten einverstanden und würde gefühlt auch deiner schönen Urbanitäts-Penicilin-Formulierung zustimmen, aber wieso sind die Faschos in Schleswig-Holstein dann so schwach? Das ist jetzt nicht wirklich das urbane Bundesland…
Für SWH würde ich die Ursache tatsächlich in kulturellen Unterschieden vermuten.
Urbanität ist definitiv kein Penicillin gegen Faschismus.
Reichtagswahle 1933:
Und der Osten wurde bei der Wiedervereinigung im Grunde vom Westen übernommen. Unternehmen, Verwaltung, Medien, Politik… Fast alle Eliten im Osten sind noch heute Westdeutsche und statt blühenden Landschaften gabs Treuhand und Arbeitslosigkeit.
Da ist die autoritäre und normative Erziehung in der DDR als Faktor definitiv plausibler. Und die strukturelle Benachteiligung ist eben auch kein Mythos sondern Fakt.
Wo siehst du in der Karte den Zusammenhang zur Urbanität eines Wahlkreises? Ich seh da nämlich die niedrigsten Stimmenanteile in den am dichtesten besiedelten Gebieten.
Opfermythos. Davon reden wir doch und deswegen habe ich ja auch betont, dass es völlig unwichtig ist, ob der wahr ist oder nicht - den Mythos gibt es und der wirkt. Von mir aus können wir es auch als Opfernarrativ bezeichnen. Ich widerspreche nicht, dass die ostdeutsche Wirtschaft verschleudert wurde, stimme dem aber auch nicht zu. Ist für das Thema einfach irrelevant.
Erziehung ist immer mindestens teilweise normativ.
Der Begriff Opfermythos ist historisch mit Sachen wie Dolchstoßlegende ziemlich hart belegt. Er drückt aus, dass die Behauptungen dahingehend grundsätzlich falsch seien.
Und natürlich ist es extrem relevant für die Frage wie gut sich Faschismus ausbreiten kann. Wenn sozialer Aufstieg verwehrt wird, wenn man nach der Isolation das “Fremde” als Bedrohung erlebt, und das schon nur die Westdeutschen Fremden sind, und wenn die Versprechen, dass man mit der marktwirtschaftlichen Demokratie ja alles viel besser bekommen würde, sich als massive Lüge herausstellt, dann führt das natürlich zur Ablehnung dieser Ordnung und schafft Nährboden für Faschismus.
http://www.deutschland-in-daten.de/category/karten/
40-50% im dichtbesiedelten Sachsen 45-50% im dichtbesiedelten Hessen und 40-45 % im dicht besiedelten Baden-Württenberg.
Die niedrigen Ergebnisse im Ruhrgebiet liegen eher an der gewerkschaftlichen Tradition und in Berlin, weil Berlin in den 20er Jahren zeitweise kulturell sehr liberal war.
Eine Kausalität zwischen Bevölkerungsdichte und geringeren Wahlergebnissen kann man aus dem Abgleich von Bevölkerungsdichte und Wahlergebnissen nicht herleiten. Sie ist ein Faktor, aber sicherlich kein zuverlässiger Schutz.
Bist du dir da sicher? Ich glaube, in diesem Zusammenhang habe ich es noch nie gehört. Wikipedia spricht auch nicht im Zusammenhang der Dolchstoßlegende davon, sondern für ein Narrativ, das Österreich und seine Bewohner von einer historischen Verantwortung im Zweiten Weltkrieg entschuldigen soll.
Die Karte ist super! Wenn wir jetzt noch eine Karte finden, die die Wahlergebnisse auf dieser Ebene zeigt, könnten wir sogar Rückschlüsse daraus ziehen. Das Problem mit der vorigen Karte ist ja, dass dicht und weniger dicht besiedelte Gebiete in einen Topf geworfen werden.
Da würde ich aber auch zustimmen. Sie ist ein sehr großer Faktor. Natürlich können andere Effekte diesen überwiegen.
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Oder halt Bildung.
Ist sehr sehr eng mit Urbanität verbunden, denn Bildung entsteht nicht im luftleeren Raum, sondern im Austausch.
Okay, aber Entfernung zum nächsten Parkscheinautomaten ist auch mit Urbanität verbunden.
Nein, das ist, wie du weißt, lediglich eine Korrelation. Ich dachte auch früher immer starker Autoverkehr wären ein Zeichen von Urbanität. Ceteris paribus ist Autoverkehr aber ein Gegenindikator, wenn man Urbanität als den Grad der Zugänglichkeit von Diversität (im Sinne von Reizen, Ideen, Verbindungen) versteht statt als Synonym für Einwohnerdichte, weil Autoinfrastruktur die Zugänglichkeit aller POIs eines anliegenden Ortes stark behindert. Ein Ort kann nicht auf Verkehrsdurchsatz hin optimiert sein und seinen Charakter als Zielpunkt behalten. Sprich: Die Einwohnerdichte pro Parkplatz könnte ein guter bereinigter Urbanitätsgrad sein.
Darauf wollte ich hinaus.
Genau und ich habe ja bereits dargelegt, warum es sich damit fundamental von Bildung unterscheidet.
Genau das habe ich einen Kommentar weiter unter fast genauso geschrieben.